Vom Kuschelkurs zum Mutausbruch – Warum Unternehmen plötzlich „bold“ sein wollen
- Allgemein, Unternehmenskultur
- Lorenz S. Forchhammer
In vielen Unternehmen herrscht eine fast schon meditative Ruhe. Gefährliche Turbulenzen in den Märkten, zu hohe Strompreise, zu hinderliche Bürokratie, zu hohe Zölle etc. führen zu lauten Klagen und Forderungen an andere, doch viel zu wenig zur selbstkritischen Reflexion der eigenen Bereitschaft, mutig neue Wege zu gehen.
Man verwaltet das Erreichte, poliert bewährte Prozesse und nickt sich in Meetings freundlich zu. Man bleibt lieber in der Deckung. Da wirkt der Slogan „Dare to be bold“ („Sei kühn! Sei wagemutig!“), der derzeit durch Führungsetagen zieht, fast wie ein ungezogener Störenfried.
Doch hinter diesem Ruf nach mehr Wagemut steckt mehr als nur Kalenderspruch-Poesie. Es ist auch eine Reaktion auf harte wirtschaftliche Realitäten.
Die Wissenschaft liefert inzwischen erstaunlich trockene Zahlen dafür, warum das gemütliche „Weiter so“ statistisch gesehen der gefährlichste Weg von allen ist. Hier ein Blick auf die Faktenlage – und warum der sichere Weg oft direkt in die Sackgasse führt.
Vom Sicherheitsfokus zum Stillstand – Das Innovationsdilemma
Sabine liebt Excel-Tabellen, die bis 2015 zurückreichen, und Sätze wie: „Das haben wir 2018 schon mal probiert, das ging schief.“ Sabines Superkraft ist es, vor Risiken zu warnen.
Das Problem: Wer Risiken auf Null setzt, setzt meist auch Innovation auf Null.
Demgegenüber steht der Ansatz des „kalkulierten Risikos“. Studien von der Boston Consulting Group (BCG) oder McKinsey zeigen ein klares Bild: Die „Serien-Innovatoren“ – also Unternehmen, die systematisch Neues wagen und auch mal Geld in den Sand setzen – hängen die Konkurrenz mittel- bis langfristig ab.
💡 Die wissenschaftliche Erkenntnis: Innovation korreliert stark mit der Bereitschaft, das Scheitern als Option zu akzeptieren.
Während Sabine noch das Risiko eines neuen Projekts berechnet, hat der mutigere Wettbewerber das Produkt bereits als Beta-Version am Markt und lernt aus dem Feedback. Kühnheit ist hier nicht nur Charakterzug, sondern eine Überlebensstrategie.
Copy-Paste-Kultur – Warum sich Anderssein lohnt
Kai schaut sich den Marktführer an und sagt: „Genau das machen wir auch. Nur in Blau. Und 2 Cent billiger.“ Das fühlt sich sicher an, denn man muss das Rad ja nicht neu erfinden.
Das Resultat ist allerdings meist ein Preiskampf, bei dem am Ende alle weinen.
Hier kommt der „Boldness“-Faktor ins Spiel, den Experten als Differenzierung bezeichnen. In gesättigten Märkten wird nur wahrgenommen, wer sich traut, sich zu unterscheiden und aus der Reihe zu tanzen.
💡 Der Daten-Hintergrund: Analysen, z. B. im Rahmen der Global Pricing Studies von Simon-Kucher, legen nahe, dass Unternehmen mit überdurchschnittlichem Gewinnwachstum oft den Mut hatten, ihre Preismodelle und Angebote radikal anders zu gestalten als der Rest der Branche.
Wer sich traut, „komisch“ zu wirken oder eine Nische spitz zu bedienen, entkommt der Vergleichbarkeitsfalle. Kai mag sich sicher fühlen, aber er bleibt unsichtbar. Der Mutige wird leichter und klarer gesehen.
Psychologische Sicherheit – Wenn Angst Leistung frisst
Vielleicht das wichtigste Argument für mehr „Boldness“ liefert die Psychologie. Denn Mut kann man nicht leicht verordnen. Er entsteht nur in einem bestimmten Klima.
Paul hat gerade versehentlich eine wichtige Datenbank gelöscht. In einem Unternehmen ohne „Mut-Kultur“ wird Paul den Fehler totschweigen, die Daten notdürftig flicken und hoffen, dass es niemand merkt.
Der Fehler bleibt im System, niemand lernt daraus, und drei Wochen später merken Kolleg:innen dann, dass mit den Daten irgendwas nicht stimmen kann.
In einem „kühnen“ Unternehmen hingegen ruft Paul: „Ups! Datenbank weg. Leute, wir haben ein Problem, lasst uns das fixen!“
💡 Die Studienlage: Das berühmte „Project Aristotle“ von Google hat jahrelang untersucht, was Teams effektiv macht. Das Ergebnis war eindeutig: Nicht der IQ der Mitarbeitenden entscheidet, sondern die Psychologische Sicherheit.
Was das bedeutet: Nur wenn Teams das Gefühl haben, Risiken eingehen zu dürfen, ohne bei einem Fehler rausgeworfen zu werden, bringen sie „mutige“ Leistungen.
Forschung von Amy Edmondson (Harvard) bestätigt: Eine Kultur, die keine Fehler zulässt, lässt auch keine brillanten Ideen zu. Denn brillante Ideen sehen am Anfang oft aus wie Fehler.
Fazit:
Fünf Gründe, warum Boldness effizienter ist als Perfektion
Die Daten zeigen also: Wer immer auf Nummer sicher geht, stagniert. Hier sind fünf Gründe für mehr „Boldness“:
- Innovationssprünge: Marktrelevante Durchbrüche gelingen nur jenseits der Komfortzone.
- Entscheidungstempo: Mut ersetzt zu langes Zögern durch entschiedenes Handeln.
- Talent-Magnet: Aktive Macher wollen gestalten, nicht nur Probleme verwalten.
- Krisen-Resilienz: Aktives Handeln schützt besser als passives Jammern.
- Marktmacht: Wer die Regeln bricht, darf neue schreiben.
Das sind also Bestandteile eines Rezepts, das moderne Unternehmen erfolgreicher macht als ihre Wettbewerber – die auch nicht schlafen. Und attraktiver und unterhaltsamer ist die Arbeit auf diese Weise garantiert auch.
Kann man Mut lernen? – Die vier entscheidenden Faktoren
Dass sich „Mut“ hervortraut hängt an mehreren Faktoren:
Angeboren sind das Temperament (Intro- vs. Extraversion), wie man auf Stress reagiert (Cortisolreaktion) und wie Dopamin-Rezeptoren steuern, wie stark unser Gehirn auf Belohnungen reagiert (Neurobiologie). Menschen mit einer bestimmten genetischen Ausprägung empfinden Risiken eher als stimulierend denn als beängstigend und umgekehrt.
Doch die Genetik ist nur etwa ein Drittel des Einflusses. Die anderen zwei Drittel, die „Boldness“ im Job fördern oder behindern, sind:
1. Selbstwirksamkeit
Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Wer darauf vertraut, Herausforderungen aus eigener Kraft zu meistern, trifft entschlossenere Entscheidungen.
2. Individuelle Risikotoleranz
Ein Persönlichkeitsmerkmal. Wie hoch ist die Bereitschaft, Unsicherheit auszuhalten und Chancen höher zu bewerten als potenzielle Verluste?
3. Psychologische Sicherheit
Das Umfeld ist der wichtigste Hebel. Fühlen sich Personen sicher, Risiken einzugehen und Fehler zu machen, ohne soziale Bestrafung zu fürchten, agieren sie mutiger.
4. Unternehmenskultur
Belohnt die Organisation Innovation und kritischen Widerspruch („Speak-up Culture“) oder wird Konformität erwartet? Struktur schlägt hier oft Charakter.
Ein Blick voraus:
Das neue Culturizer Boldness-Modul
Culturizer entwickelt ein neues Modul, das Teams unterstützt, ihre eigene „Boldness“ zu reflektieren und bewusst zu stärken. Nicht waghalsig – aber wagemutig.
👉 Folgt uns auf LinkedIn, um Updates zum neuen Modul und das kommende B.O.L.D.-Framework nicht zu verpassen.
Don’t be shy – say hi! 👋
#happyCulturizing
📚 Quellenverzeichnis
BCG: Most Innovative Companie
Dies ist der jährliche Flaggschiff-Report der Boston Consulting Group. Er zeigt die Korrelation zwischen Innovation und Unternehmenswert.
🔗 Link: BCG Most Innovative Companies (Übersichtsseite & aktueller Report)
McKinsey: Innovation Strategy
McKinsey hat eine umfangreiche Sammlung zum Thema, warum Innovation oft scheitert (Risikoaversion) und wie sie gelingt.
🔗 Link: McKinsey Innovation Insights
🔗 Spezifischer Artikel (Boldness): Innovation in a crisis: Why it is more critical than ever
Simon-Kucher & Partners sind die Weltmarktführer im Bereich Pricing. Ihre Studien zeigen oft, dass Unternehmen Geld verlieren, weil sie sich nicht trauen (zu wenig Mut), den wahren Wert ihrer Produkte zu verlangen oder Produkte falsch designen („Feature Shock“ statt Kundennutzen).
🔗 Link: Simon-Kucher Insights & Studies
🔗 Buch/Konzept: „Monetizing Innovation“, das belegt, dass 72% aller neuen Produkte scheitern, weil die Monetarisierung nicht mutig genug von Anfang an mitgedacht wurde: Monetizing Innovation (Buch & Konzept)
Google’s Project Aristotle (re:Work)
Dies ist die offizielle Seite von Google, auf der sie ihre Forschungsergebnisse zur Team-Effektivität öffentlich teilen.
🔗 Link: Google re:Work – Guide: Understand team effectiveness
Amy Edmondson (Psychological Safety)
🔗 Video (TED Talk): Building a psychologically safe workplace (TEDx)
🔗 Fachartikel (HBR): High-Performing Teams Need Psychological Safety (Harvard Business Review)